Hier finden Sie unseren aktuellen Rundbrief: In diesen berichten wir aus den aktuellen Projekten, Wissenswertes aus Welikji Nowgorod und spannende Themen aus Russland. Wir geben Tipps aber auch nützliche Informationen.
Rundbrief Nr. 1001 Oktober 2020
Einladung zur Jahreshauptversammlung mit Vortrag von Dr. Anke Giesen
am Donnerstag, dem 12. November 2020, um 18:30 h
im Haus der Kirche, Markgrafenstraße 7, Großer Saal
Die Protestbewegungen in der Zivilgesellschaft Russlands
Sehr geehrte, liebe Mitglieder und Freunde der Städtepartnerschaft mit Welikij Nowgorod,
in seiner Dankesrede auf die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2020 am 18. Oktober nannte Amartya Sen als reale Bedrohung für Menschlichkeit und
Gerechtigkeit in vielen Ländern der Erde die Pandemie des Autoritarismus, und er ermahnte seine wenigen Zuhörer in der Frankfurter Paulskirche und die vielen in aller Welt dazu,
mehr zu lesen, mehr zu reden, mehr zu disputieren. Und dass ausschließlich die Gewaltlosigkeit der Weg sei zu dauerhaftem Frieden in der Welt.
So wollen auch wir es halten: zu Gast wird sein am 12. November Frau Dr. Anke Giesen: bekannt ist sie uns durch ihren Vortrag über Gedenkkultur in Russland im Oktober 2018 – er
basierte auf Reisen und Gesprächen quer durch die Russische Republik zu Institutionen und Orten stalinistischer Repressionspolitik und ihrer Aufarbeitung. Sie arbeitet im Vorstand der
Gesellschaft MEMORIAL, die dieses Erkenntnisinteresse auch in der Gegenwart weiter verfolgt und wachsam beobachtet, wie sich die Zivilgesellschaft in Russland
entwickelt, welchen Sorgen und Problemen sie auf der Spur ist. Derer gibt es – wie zurzeit überall auf der Welt – allzu viele. Unterschiedlich ist von Ort zu Ort die Art, wie Staat und Obrigkeit
darauf reagieren. Beide Seiten wird sie in ihrem Vortrag in den Blick nehmen.
Wir freuen uns auf einen Abend - reich an realen Beobachtungen und Reflexionen!
Seien Sie uns herzlich willkommen!
i.A. Brunhild Hilf
Programm des Abends:
1 Jahresberichte und Wahlen (ab 18:30 Uhr)
1.1 Bericht der Vorsitzenden
1.2 Bericht der Kassenwartin – incl. Zeugnis der Kassenprüfer
1.3 Entlastung des Vorstands
1.4 Aufnahme eines neuen Mitglieds
1.5 Vorstandswahlen: neue Kandidaten sind willkommen!
(Da wir satzungsgemäß nun gegen Ende des Jahres 2020 zurückblicken sollen auf 2019, wollen wir das tun – allerdings in gebotener Kürze: den Jahresbericht der Vorsitzenden
enthielt bereits der April-Rundbrief – er befindet sich hier erneut im Anhang. Eine Zusammenfassung des Kassenberichtes liefert Ihnen dieser Rundbrief.)
2 Vortrag : Dr. Anke Giesen - Beginn: 19:30 h
Kassenbericht 2019
Ich fasse hier den Kassenbericht unserer Schatzmeisterin Erika Weichert zusammen und erläutere ihn. Am 1. Januar 2019 wies unsere Kasse einen Anfangsbestand auf von rd.
6.300,- € *), am 31.12 2019 waren es rd. 7.270,- €.
Die einzigen echten Einnahmen waren Ihre Beiträge, liebe Mitglieder.
Andere Zuwendungen betrafen immer Spenden für Projekte, bei denen wir vermittelnd tätig sind und die zum Teil länger auf ihre Weiterleitung warten – allesamt in W. Nowgorod: es sind der
Gehaltscent der Stadt Bielefeld, das Psychiatrie-Denkmal, eine Werkstatt für Behinderte (Spende der Lionshilfe) und der Grundstock für die Anschaffung eines Klaviers in einem Gymnasium.
Das eigene Budget betraf am Ende des Jahres also nur rd. 2.800,- €.
Die Kosten, die uns konkret zu Buche schlugen, sind rd. 850,-€ für den Rundbrief, rd. 540,- € für Referenten, 425,- € für die Restauration des Wandbildes in Schildesche, dazu Verwaltungskosten
(Internet und Sparkasse) 164,- €, Investitionen für einen Bildband mit Aquarellen des Gottfried Gruner und seines russischen Kollegen Semjon Pustovojtov und weitere Ausgaben, die aus
vielen kleinen Einzelbeträgen bestehen.
Die Kasse wurde Ende Juni 2020 geprüft und für korrekt befunden.
Unsere Schatzmeisterin Frau Erika Weichert verwaltet diese Gelder höchst gewissenhaft, schlägt sich tapfer mit digitalen Neuerungen der Sparkasse herum und erneuert ständig unsere Adressenliste,
was sehr aufwändig ist, wenn z.B. Rundbrief-empfänger umziehen, oder zuletzt bei der Einstellung des postalischen Rundbriefversands an Personen, die nicht Mitglied sind. Die Post berücksichtigt
solche Vereine wie uns – trotz der Feststellung ihrer Gemeinnützigkeit nicht mehr mit dem ermäßigten Versand als Info-Brief, (diese Bevorzugung wird seltsamerweise nur wirtschaftlichen Zwecken
zuteil), sondern verlangt dafür das volle Briefporto. In der genannten Funktion ist es auch Frau Weichert, die Ihnen unseren Rundbrief zusendet. Wir
danken ihr sehr herzlich für ihre Mühen!
____________
*) Der besseren Lesbarkeit halber habe ich alle Beträge gerundet angegeben.
B. Hilf
Projekt zwischen BI und WN – Bewerbung beim GOETHE-Institut/aktualisierter Stand
Seit einigen Jahren sind die politischen Verhältnisse zwischen Deutschland und Russland vermehrt von Spannungen gekennzeichnet. Die städtepartnerschaftlichen Beziehungen bleiben
davon nicht unberührt: so mancher Austausch wurde von Misstrauen, Skepsis und vorsorglicher Distanz gegenüber den westlichen Werten und unserer offenen, liberalen Lebenswelt
überschattet.
Dieser Entfremdung möchte ein Projekt entgegenwirken, das als Initiative der Nowgoroder Universität entstand, junge Russen und Deutsche in engeren Kontakt und Austausch zu bringen, zumal seit dem
März 2020 solche Pläne und Projekte pandemiebedingt sämtlich abgesagt wurden. Der Weg des gegenseitigen Kennenlernens soll daher im ersten Halbjahr 2021 über das Internet, über die den
Jugendlichen vertrauten modernen sozialen Medien gehen. Gedacht ist daran, dass die Akteure sich selber, ihren Alltag, ihre Träume, ihre Vorlieben, die sie umgebende Kultur und städtische
Realität in Bild und Szene präsentieren. Das Ziel aus der Sicht der Nowgoroder Initiatoren ist es, Deutschland und unsere Kultur, unsere Fragen und Probleme den Studierenden der Universität in
Nowgorod und über die weit verbreiteten sozialen Medien allen interessierten jungen Menschen der Partnerstadt zugänglich zu machen. Als Partner waren zunächst nur wir als Kuratorium angesprochen,
aber wir konnten mittlerweile durch viele Gesprächskontakte zwei Bildungsinstitutionen für die Kooperation gewinnen: die Fachhochschule Bielefeld, die 2017 eine
Kooperationsvereinbarung mit der Universität Nowgorod unterzeichnet hat, und das Rudolf-Rempel-Berufskolleg – ebenfalls in langjähriger guter Zusammenarbeit mit der Universität
Nowgorod. In diesen Tagen geht der Antrag an das GOETHE-Institut. Falls er offiziell nicht genehmigt würde, so ist uns die Idee des Projektes so wichtig, dass wir versuchen würden, es über
Sponsoren möglich zu machen. Sehr erwünscht ist in einer zweiten Phase der unmittelbare und lebendige Kontakt der deutschen und russischen Akteure untereinander, für Dialog, Begegnung,
Auseinandersetzung und gemeinsame Produktionen sollen anschließend reale gemeinsame Aufenthalte Gelegenheit bieten. Denn uns ist sehr daran gelegen, dass die in langen Jahren gewachsene
lebendige Städtepartnerschaft zwischen Bielefeld und Welikij Nowgorod weiterhin zu gegenseitigem Verständnis und zur Völkerfreundschaft beiträgt.
B. Hilf
Gedenkstätte im ehemaligen Stalag 326 Stukenbrock
„Aus einem winzigen Dorf im Ural machte sich vor zehn Jahren die damals 72-jährige Bäuerin Raissa Demjanowa auf die Suche nach ihrem Vater. Ihr Sohn war in Internetforen auf dessen Namen
gestoßen, Pawel Demjanow, verstorben im Stalag 326 in Stukenbrock. Raissa Demjanowa war noch nie im Ausland gewesen, jetzt sammelten die Bewohner des Dorfes 10.000 Rubel für ihre Fahrt ins
Ungewisse. Fünf Tage lang war sie mit Zügen und Bussen nach Deutschland unterwegs. Das letzte Stück ging sie zu Fuß in ihren Pantoffeln aus kariertem Filz, einmal schlief sie am Straßenrand, wo
Polizisten sie fanden. Dann stand sie an dem Massengrab, in dem ihr Vater verscharrt worden war. Was er erlitten hatte, ist nur zu ahnen: Als US-Truppen am 2. April 1945 das Lager befreiten,
fanden sie knapp 9.000 Männer vor, die sich, wahnsinnig vor Hunger, um eine Handvoll Mehl fast zu Tode prügelten.
Raissa Demjanowa weinte um ihren Vater und betete für den Frieden zwischen den Völkern. Sie verteilte Erde aus ihrem Dorf auf dem Grab und trug ein wenig Erde aus Stukenbrock zurück in ihre
Heimat. Sie hatte wenigstens Gewissheit gefunden.“(Die ZEIT, 7. Mai 2020)
Was erzählt uns diese Geschichte?
Dass es 65 Jahre dauerte, bis manche Angehörige von russischen Kriegsgefangenen vom Schicksal ihrer Väter und Söhne erfuhren, dass also diese größte Opfergruppe des 2. Weltkrieges nach den Juden
zu Recht die Vergessenen heißen.
Dass diese Tochter auf der Suche nach ihrem Vater viel auf sich nimmt, um sein Grab zu besuchen, um seiner Schicksalslosigkeit für ihn und ihre Familie ein Ende zu bereiten.
Dass die Zeit vorbei war, in der ganze Familien von in deutsche Kriegsgefangenschaft geratenen sowjetischen Soldaten von jahrzehntelanger Stigmatisierung betroffen waren.
Denn die überlebenden Heimkehrer aus dieser Haft, Männer über 16, wurden 1945 zuhause als Volksfeinde und böswillige Deserteure erneut der Zwangsarbeit zugeführt und ihre
Familien geächtet. Für sie alle galt der 9. Mai nicht als Tag des Sieges, erst seit 1995 wurden sie als Veteranen anerkannt und geehrt.
Ihre Dorfnachbarn achten also Raissas Weg zum Ort der Leiden des Vaters mit einem Zuschuss für ihr Reisegeld.
Und : diese Geschichte erzählt uns, dass Gedenken entlastet, dankbar macht und Zukunft eröffnet.
Es sind nur 30–35 km von Bielefeld entfernt: dort befindet sich das ehemalige Kriegsgefangenenlager Stalag 326 in Stukenbrock-Senne – vor etwa 4 Wochen fand dort die Gedenkveranstaltung zum
Kriegsende vor 75 Jahren statt. Eigentlich war sie für dieses Frühjahr vorgesehen und erinnerte daran, dass am 2. April 1945 eine vierjährige Geschichte entsetzlichen Leidens und unmensch-licher
Misshandlungen endete. Von den insgesamt etwa 5,7 Millionen kriegsgefangenen Rotarmisten wurden 3,3 Millionen Opfer der erklärten Vernichtungspolitik des Russland-Feldzuges; denn dieser hatte zum
Ziel die Eroberung von Lebensraum für das deutsche Volk – auf Kosten der dortigen Bevölkerung. Diese galten – ideologisch und rassistisch - als bolschewistische Untermenschen.
Noch vor dem Angriff auf die UdSSR im Juni 1941 hatte die Wehrmachtsführung diesen Ort geplant, aber völlig unzureichend für die Aufnahme von Gefangenen vorbereitet. Diese trafen bereits wenige
Wochen nach Kriegsbeginn hier ein – nach Bahntrans-porten in Güterwaggons und Gewaltmärschen, auf denen bereits 25-70 % elend zugrunde gingen.
Die Kommandanten erhielten zum Aufbau der Lager nur Stacheldraht, Kochkessel, Chlorkalk und Werkzeuge. Die Gefangenen sollten sich mit allerprimitivsten Mitteln ihre Unterkünfte selber bauen. Bis
zum Frühjahr 1942 hausten sie in selbst gegrabenen Löchern und Erdbunkern. Ihr Leben war nichts wert, die deutsche Heeresleitung war der Überzeugung, dass sie der UdSSR
in keiner Weise völkerrechtlich verpflichtet war, und gab diese zynische Haltung an die Diensthabenden in der Wehrmacht weiter. So sank dort die Hemmschwelle und führte zu extremer
Gewaltbereitschaft gegenüber sowjetischen Menschen.
Als Ende Oktober 1941 das Konzept des Blitzkrieges als gescheitert angesehen werden musste und sich der gravierende Arbeits-kräftemangel in der Kriegswirtschaft offenbarte, erwachte das Interesse
an der Arbeitskraft der Gefangenen, und das Massen-sterben endete im Frühjahr 1942. Denn man setzte sie nun ein als Arbeitssklaven im Ruhrbergbau, im Straßenbau und in der
Landwirtschaft. Den steigenden Quoten standen sinkende Verpflegungsrationen gegenüber, und die massive Ausbeutung, die miserablen hygienischen Verhältnisse und die Mangelernährung führten zu
Krankheiten und Seuchen und zum Tod unter den Gefangenen. 9.000 von ihnen kamen den amerikanischen Soldaten im April 1945 wie Auferstandene vor – Hundertausende
waren elendiglich umgekommen.
Die deutsche Nachkriegsgesellschaft war durch den Kalten Krieg geprägt, so dass der Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock, 1967 begründet von Kommunisten, christlichen
Pazifisten und linken Sozialdemokraten, politisch beargwöhnt wurde. Erst mit der
Friedensbewegung Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre erhielten derlei Initiativen Aufwind, und mit der Wende von 1989/90 trat die gesellschaftliche Erinnerung an die sowjetischen Opfer
nationalsozialistischer Verfolgung aus der gesellschaftlichen Isolierung einer linken Subkultur heraus. Im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag vom 9. November 1990 verpflichtete
sich die Bundesrepublik zu Schutz und Pflege sowjetischer Ehrenmäler. Ein privater Förderverein nimmt sich seit 1993 der Dokumentationsstätte Stalag 326 an; und seit Joachim Gauck am 8. Mai 2015
mahnte, diesen Ort aus dem Schatten der Erinnerung herauszuholen, wachsen offizielle Aktivitäten für die Errichtung einer internationalen Gedenk- und Begegnungsstätte von überregionaler und
internationaler Bedeutung. Die begleitende historische und sozialgeschichtliche Forschung befasst sich außer mit den Fragen der Aufarbeitung der Lagergeschichte mit weiteren Aspekten: wie
gestaltete sich die Binnenstruktur des Lagers? gab es Kollaboration, Widerstand? in welcher Beziehung stand die nachbarschaftliche Umgebung zu den Lagerinsassen? wie entwickelte sich die deutsche
Erinnerungspolitik in den Nachkriegsjahren?
Es ist vorstellbar, dass in naher Zukunft der Besuch einer solchen Gedenkstätte für viele Bevölkerungsgruppen aufschlussreich sein wird.
B. Hilf
Adressen der Vorstandsmitglieder
Dr. Manfred Dümmer, Heckstraße 16, 33609 Bielefeld, Tel. 325 385
Ulrich Eckert, Albertstr.10, 33649 Bielefeld, T. 9 467 120
Hans-Georg Fischer, Hagenkamp 44, 33609 Bielefeld, Tel. 330 233
Christel Franzen, Kupferheide 39a, 33649 Bielefeld, Tel. 451 102
Dr. Gerlinde Günther-Boemke, Deppendorfer Straße 160, 33619 Bielefeld, Tel. 05 203 – 1 205
Brunhild Hilf, Schelpsheide 12, 33613 Bielefeld, Tel. 889 282
Dr. William Rotsel, Spandauer Allee 16, 33619 Bielefeld, Tel. 105 668
Dr. Klaus Trillsch, Saarbrücker Straße 19, 33613 Bielefeld, Tel. 887 930
Erika Weichert, Am Balgenstück 33b, 33611 Bielefeld, Tel. 83 731
Rundbrief Nr. 100 September 2020
Liebe Mitglieder und Freunde der Städtepartnerschaft mit Welikij Nowgorod,
aktuell sind hier zurzeit die Proteste in Minsk, die die unverfälscht-klare Aufbruchstimmung der belorussischen Bevölkerung zeigen, und die Aufnahme des dem Kreml in Moskau sehr unbequemen
Korruptionskritikers Alexej Nawalny in Berlin deutliche Signale des Aufbegehrens der Bürger der ehemaligen Sowjetunion gegen zynischen und reaktionären Machtmissbrauch.
Diesem Themenkreis soll auch eine verspätete Jahreshauptversammlung am 12. November gewidmet sein, zu der uns Frau Dr. Anke Giesen (Memorial Berlin) einen
Vortrag zugesagt hat über die Demonstrationen der Jugend in Moskau und über den Umgang der Macht mit ihnen.
In den letzten Monaten aber beschäftigten uns Fragen im Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren, auch wenn entsprechende Feiern im Mai
nicht zugelassen waren. So erhielten Sie Ende Juni von uns die Bitte, sich einem Antrag anzuschließen, der zum Ziel hat, das Stammlager VI K (326) zu einer würdigen Gedenkstätte umzugestalten.
Als in Welikij Nowgorod mit theatralischen Szenen des Endes der deutschen Besatzung im Januar 1944 gedacht werden sollte, mahnte Alexander Orlov zur Besinnung, seinen
nachdenklichen Beitrag druckten wir im April-Rundbrief 2019 ab. Als ich mich mit der Frage nach seiner Stellungnahme zum diesjährigen „Tag des Sieges“ an ihn wandte, schickte er mir die
Tonaufnahme eines Gespräches zu, das er mit seinem Journalisten-Kollegen Antonij Kisch geführt hatte. Sie finden eine Zusammenfassung in diesem Rundbrief, es ist zugleich ein kleines Denkmal für
ihn: im Juni verstarb er unerwartet und unter Umständen, die die
Internet-Publikation vnovgorode.ru fragwürdig nennt (s. S. 6f).
Der Name Alexander Orlovs ist eng verbunden mit den Bergungen von verschütteten Gebeinen der im Krieg mit
Nazi-Deutschland getöteten russischen Soldaten unter dem Namen „DOLINA“ – dieser wichtigen Aufgabe widmete die
Marienschule der Ursulinen im Winter 1992/93 eine Foto-Ausstellung. Ihre großen Fototafeln sollten seit langem einem sicheren Aufbewahrungsort zugeführt werden. Nach Absagen aus dem
Bielefelder Historischen Museum und Stadtarchiv nahm Manfred Sewekow, ehedem Lehrer für Geschichte an der Marienschule, Kontakt auf zum Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst, erhielt
eine positive Antwort und transportierte diese kostbare Gedenklast
selbst dorthin. Vorher fotografierte er die Fotos, wir bewahren sie im Archiv unserer website auf.
Ebenfalls auf unserer Homepage finden Sie unter „Aktuelles“ den Hinweis auf einen Vortrag, den ich auf einer deutsch-russischen-belorussischen Konferenz der Universität Nürnberg
gehalten habe. Es ging dort um die Frage, wie sich im Internationalen Bildungsaustausch der Weg von der Völkerverständigung zur interkulturellen Reflexivität entwickelt
habe.
Wir haben die Hoffnung, dass es nicht bei der Online-Konferenz bleibt, sondern dass es ergänzend noch eine Präsenzveranstaltung geben wird. Denn wirklicher Austausch und gemeinsames Nachdenken
darüber, wie wir miteinander weitergehen wollen, ist im echten und auch informellen Gespräch besser möglich. Mir wäre an einem Austausch auch mit Ihnen darüber sehr gelegen.
Wie wir trotz der derzeitigen Einschränkungen für Begegnungen unsere Brücken nach W. Nowgorod weiter ausbauen können, darüber hat sich der Historiker Dmitrij Astashkin Gedanken gemacht und zusammen mit seiner Frau Polina, Deutsch-Dozentin an der Universität Nowgorod, für einen Wettbewerb des Goethe-Institutes ein Projekt entworfen, an dem wir als Kuratorium mitwirken wollen und zu dem wir Sie alle mit Ihren Ideen um Mithilfe bitten (s. S. 8).
Brunhild Hilf
***
Wir drucken hier den Bericht eines Nowgoroder Journalisten über den Verlauf der Abstimmung zur Verfassungsänderung in der Russischen Föderation ab:
In den Höfen bleibt die Hoffnung
In Welikij Nowgorod, wie in ganz Russland, zog man Bilanz aus der Abstimmung zur Verfassungsänderung in Russland, die in der Woche vom 25. Juni bis zum 1. Juli stattfand.
Im Nowgoroder Gebiet nahm daran die Hälfte der Wahlberechtigten teil.
Für die Annahme der Verfassungsänderungen stimmten dort rund 70 % der Wähler, dagegen knapp 28 %. Zur Abstimmung stand das ganze Paket der Änderungen im Grundgesetz des Landes.
Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei 65 %. Die Zentrale Wahlkommission der Russischen Republik verkündete nach Auszählung aller Stimmen, dass rund 78 % der Wähler für das Gesetz stimmten, 21 %
dagegen. Wahlbeobachter sehen einen großen Unterschied zwischen dem Wahlverhalten in den Städten und dem in der dörflichen Umgebung. Denn das Protestpotential ist in den großen und mittleren
Städten bedeutend höher als im Durchschnitt der Bevölkerung; wie eh und je steht das Volk in der tiefen Provinz auf der Seite Moskaus.
In Handschuhen und Masken
Der auffälligste Unterschied zu früheren Abstimmungen war wohl das Aufstellen der Wahlurnen in den Höfen der Wohnquartiere der Randbezirke. Die Mehrheit der Bürger benutzte gern diese Möglichkeit
des Wählens in der Zeit der Pandemie, um nicht dem Virus in den Wahllokalen zu begegnen. Bei sich zuhause unter freiem Himmel war das ganz einfach: eine junge Frau bietet die desinfizierende
Flüssigkeit an, Maske und Gummihandschuhe, der zuständige Wahlhelfer überreicht den Wahlzettel, da steht die
durchsichtige Urne, und der Kugelschreiber muss nach dem Setzen des Kreuzchens nicht zurückgegeben werden – er verbleibt im individuellen Gebrauch. Zu anderen Zeiten war der Stift mit einem
Bindfaden festgebunden gewesen, so dass die Wähler dieses Wertstück nicht versehentlich mitgehen lassen konnten.
Die Abstimmung in den Höfen der Hochhäuser erfolgte im Vorfeld, vom 25. – bis 28. Juni. Der offizielle Hauptwahltag war der 1. Juli. Allerdings war den Russen lange vorher klar, dass ihre Stimme
praktisch nichts entscheidet: für die vorgeschlagenen Änderungen hatten sich bereits beide Häuser des Parlaments ausgesprochen, und das hätte ausgereicht, um das Gesetz
in Kraft treten zu lassen. Die allgemeine Volksabstimmung geschah auf den Vorschlag des Präsidenten hin, um den Verfassungsänderungen so etwas wie Legitimität im Volk zu verleihen: die Macht
trifft eine Entscheidung, die Leute erklären ihr Einverständnis.
In so einer Situation gerät die Abstimmung zum Test für Protest.
Der Schritt dem Wähler entgegen in die Höfe und in die Unternehmen hinein erhöhte insgesamt die Wahlbeteiligung, aber nicht immer spielte er den Initiatoren der Reform in die Hände. So zum
Beispiel in der auswärtigen Wahlkommission bei „Akron“, dem größten Wirtschaftsunternehmen W. Nowgorods: 45,75% stimmten dort gegen das Gesetz.
Ähnlich viele Einwände gab es auch bei den Arbeitern und Spezialisten der Milchfabrik „Laktis“. Die Leiter dieser privaten Betriebe kann man nicht rügen für dieses unerwünschte Resultat. Anders
verhält es sich mit Verwaltungsbezirken, von der Verwaltung abhängigen Organisationen, in denen die Mächtigen dem Leiter oder Direktor drohen können. Daher verhält sich die russische Provinz
traditionell obrigkeitstreu. Die Bewohner zeigen sich solidarisch mit den Schulleitern, die ihre Kinder unterrichten, oder deren Verwaltungschefs, die ihnen mit Brennholz aushelfen oder bei
Reparaturen. Sie haben Angst, dass man sie sonst
als kritisch identifiziert, nicht mehr mit Brennholz beliefert, die Rente einbehält, das Auto nicht repariert. Und deshalb stimmten die Wähler dort in der Regel zu etwa 95 % für die
Verfassungsänderung.
Unter den 85 Regionen der Russischen Föderation stimmte nur eine einzige gegen die Verfassungsänderungen: der Autonome Kreis der Nenzen im Nordwesten Russlands an der Barentssee. (Er ist mit
44.000 Einwohnern 177.000 qkm groß. Anm. d. Ü.) 55,25 % Gegenstimmen – das war der Protest der Einwohner gegen die vorgeschlagene
Zusammenlegung mit dem Gebiet Archangelsk.
Am meisten unterstützten Moskau die Tschetschenische Republik mit fast 98 %, Tuva fast 97 %, Dagestan mit etwas über 90 %. Diese Regionen haben die höchsten Geldzuwendungen aus dem Staatssäckel
erhalten. Tschetscheniens Führer Ramzan Kadyrovs Vorschlag: „Lasst uns Putin als lebenslangen Präsidenten wählen.“ Eigentlich führt die Hauptkorrektur der Verfassung ohnehin genau dazu. Nach
seiner 20-jährigen Regentschaft entschied Putin sich dafür, dem Vorbild seines belorussischen Kollegen zu folgen, der ebenfalls die Verfassung änderte, um bis zu seinem Lebensende an der Macht zu
bleiben. Eine andere wichtige Veränderung betrifft die Priorität des russischen vor dem internationalen Recht. Dies bedeutet, dass es den Bürgern Russlands schwerer fallen wird, gegen die
Verletzung ihrer Rechte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu klagen. Genauer, klagen können sie, aber ob Russland den Entscheidungen des EuGH Folge leisten wird, das ist die
Frage.
Die schwache Stimme der Opposition
Die politisch-gesellschaftliche Bewegung „Golos“ (dt.: „Stimme“) als unabhängigster und engagiertester Wahlbeobachter verfolgte den Gang der Vorbereitungen und die Abstimmung selbst in 42
Regionen Russlands, darunter auch im Nowgoroder Gebiet.
Wie die regionale Koordinatorin dem Schreiber dieser Zeilen erzählte, gab es hier etwa 60 Golos-Mitarbeiter. Eine solche Anzahl ist natürlich bei weitem zu wenig, um die Situation in allen
Wahlbezirken zu kontrollieren. (Das Nowgoroder Gebiet ist mit etwa 635.000 Einwohnern 55.000 qkm groß – etwa wie NRW und Hessen zusammen. Anm. d. Ü.) Die Golos-Vertreter arbeiteten nur in W.
Nowgorod und im Gebiet von Chvojnaja – verdeckt als Presse- oder Partei-Angehörige. Denn da auch Golos mit dem problematischen Titel „Ausländischer Agent“ versehen wurde, hat sie sich offiziell
aufgelöst. Journalisten oder Vertreter der Partei „Jabloko“ treten an ihre Stelle. Die russische Gesetzgebung hat sich enorm verschärft. Hohe Strafen und grausame Verbote warten auf die, die
Vorschriften nicht befolgen.
Bisher trat die nunmehr informelle Bewegung Golos nur auf mit vorläufigen Verlautbarungen über ihre zivilgesellschaftlichen Wahrnehmungen. Ihre Informationen über Verstöße und Unzulänglichkeiten
werden nun zusammengefasst. Einer der wichtigsten Kritikpunkte ist die Nötigung, zur Wahlurne zu gehen, die in krassem Gegensatz steht zu demokratischen Spielregeln. Konkret heißt das, dass man
Angestellte der staatlichen Behörden dazu verpflichtete, mit dem eigenen Smartphone ein Selfie aufzunehmen auf dem Hintergrund des Wahllokals, andernfalls hätte ein Entzug der Prämie folgen
können oder gar die Entlassung aus dem Dienst. Genauere Belege finden sich im Dossier der Aktivisten von Golos.
Aus dem Kreis der Oppositionsparteien kam die konsequenteste Gegenstimme von der Partei „Jabloko“. In ihren Reihen befinden sich viele junge Menschen, die nicht verstehen, dass es sein kann, dass
sich unter 146 Millionen Menschen im Land kein würdigerer für das Amt finden ließe als der gegenwärtige Präsident. Man braucht schließlich Veränderungen zum Besseren, aber nicht so eine
Stagnation wie unter Brezhnev.
Die Vorsitzende von Nowgorods Jabloko-Gruppe, die Duma-Abgeordnete Anna Tscherepanova (sie und ihre Zwillingsschwester sind seit langem in der Opposition gegen die herrschende Partei im
Nowgoroder Gebiet aktiv) ist optimistisch: „Klar, das Resultat der Wahl war vorhersehbar. Die neuen Technologien, die Nötigung der Staatsbediensteten, die massenhafte Mobilisierung der Pensionäre
in den Höfen, die totale Propaganda im Fernsehen, die Fälschungen im Dorf – sie tun das Ihrige“, schreibt sie in ihrem Blog auf Facebook. „Aber es lohnt sich nicht, deshalb den Mut sinken zu
lassen. Im Gegenteil, bei uns ist Hoffnung eingekehrt. Gegner der Anullierung der bisherigen Amtszeit des Präsidenten gibt es viele, nicht nur 5 – 10 %, wie uns die Machthaber glauben lassen
wollen. Mit solchen Bürgern kann man bei Wahlen siegen.“
Die nächsten Wahlen sind die Kommunalwahlen – am 13. September. Um dort zu siegen, muss Jabloko überzeugend sein Programm unter die Leute bringen. Mit Protest allein kann man keine Stimmen
gewinnen.
Jurij Krasavin
(Kürzung und Übersetzung: B. Hilf)
***
„Feier“ des Kriegsendes: Gespräch zwischen Kisch und Orlov
„Völlerei“ – so betitelt Alexander Orlov die offizielle Manie der russischen Regierung, den „Tag des Sieges“ zu begehen. Er selber erinnert sich „an den schweren Geruch des Sieges bzw. des
Krieges aus seiner Kindheit (...), der bis zu den 60-er Jahren mit dem westlichen Wind heranwehte“, und daran, dass ganz in der Nähe seines Wohnhauses die Knochen russischer Soldaten zu finden
waren. Zu diesen Erinnerungen gehören auch die Tränen seiner Mutter, die alljährlich am 9. Mai um den Tod ihres erstgeborenen Sohnes Evgenij weinte, der jahrelang als vermisst galt.
Die eigentliche Wahrheit über den Krieg wolle in der Tat keiner wissen, „denn sie riecht stark nach Leichen. Außerdem, wenn man sich damit auseinandersetzt, dann findet man etwas, wofür jemand
Verantwortung tragen soll – und keiner will das.“ Als Beispiel nennt er die verräterische Wlassow-Armee. Orlov empfiehlt das Studium geschichtswissenschaftlicher Werke und historischer Quellen:
nur so könne man das Schwarz-Weiß-Denken überwinden. Heftig kritisieren die Gesprächspartner die aktuell unreflektierte und falsche Verwendung von Flaggen (Trikolore statt roter Flagge) und
traditionellen Symbolen. So werden
Georgsbändchen und Ruhmesorden vertauscht, alljährlich im Mai kostenlos verteilt und kommerziell missbraucht (gleichzeitig werden Corona-Schutzmasken zu 30-fach überhöhten Preisen abgegeben!).
Nach den Feierlichkeiten lägen sie dann massenhaft auf den Straßen im Schmutz : so verlören sie die ihnen eigene Heiligkeit. Ähnliches geschehe mit der Bewegung „Das unsterbliche Regiment“:
ursprünglich im Volke geboren als gemeinsame öffentliche Erinnerung an im Krieg getötete Angehörige, vereinnahmen nun Funktionäre diese Veranstaltung und statten sie künstlich mit falschem
Pathos aus.
Das Andenken an die, die mit ihrem eigenen Leib und Leben den Krieg über Nazi-Deutschland gewonnen haben, also an das einfache sowjetische Volk, pervertiere so zum Show-Business für falsches
Heldentum.
Schlusswort von Orlov: Die Veteranen, die sich früher nach dem Verlust beider Arme und / oder Beine auf hölzernen Rollbrettern herumbewegt haben, sind später alle aus der
Öffentlichkeit verschwunden. „Jetzt wissen wir, warum.“
Schlusswort von Kisch: Angesichts der aggressiven Parolen, aufzubrechen nach Berlin, denn man könne den Sieg wiederholen, mahnt er, daran zu denken, dass jeder Krieg ein
Ausnahmezustand sei, der für jeden Menschen mit unheilbaren Folgen verbunden sei: „Man soll nichts wiederholen, sondern einfach leben und hart arbeiten.“
Transkription des Gespräches und Übersetzung: Alexander Alexeev
Kurzfassung: B. Hilf
***
Zum Tode des Alexander Orlov
„Mit dem Nowgoroder Radio „Slavia“ war Alexander Orlov viele Jahrzehnte verbunden. Er, zusammen mit seinem Bruder Nikolaj Vorsitzender der Nowgoroder Suchexpedition „DOLINA“, ein erstklassiger
Erforscher der Kriegsgeschichte des Nowgoroder Gebietes, der nicht nur in den Wäldern von Mjasnoj Bor arbeitete, sondern auch in den Archiven auf der Suche nach den Namen der unbekannt gefallenen
Frontkämpfer, er kannte die Geschehnisse gut, über die er sich entschieden hatte zu schreiben und zu erzählen.
Die Sendungen mit ihm als Teilnehmer waren immer erfüllt von aufrichtigem Schmerz und Bitterkeit aufgrund der tragischen Schicksale Tausender Gefallener und Vermisster.
Am 9. Mai und am 22. Juni war er immer hier am Mikrofon. Und so geschah es, dass an seinem Sterbetag im Äther im Radio „Slavia“ seine Stimme hörbar war.
Wir schließen uns den Worten des Chefredakteurs der „Neuen Nowgoroder Zeitung“ Sergej Brutman an „Wir wissen nicht, wie es ohne ihn weitergehen soll ...“
(Zum Verständnis des Artikels: Das Krankenhaus AZOT hat in Nowgorod bei der Bevölkerung eine sehr schlechte Reputation, aber ins Gebietskrankenhaus hat man ihn nicht gebracht. Dort hätte es eine
Chance gegeben, ihn zu retten.)“
Svetlana Gerasimova, Chefredakteurin des Radios SLAVIA
Die Umstände des Todes von Alexander Orlov, dem Nachforscher und Fotokünstler, deuten darauf hin, dass es geboten scheint, sich an die Machthaber zu wenden
(Quelle: vnogorode.ru – Übersetzung: B. Hilf)
Es ist nicht auszuschließen, dass die Todesursache das Coronavirus war.
Der leitende Redakteur der „Neuen Nowgoroder Zeitung“ Sergej Brutman erzählte unserer Redaktion:
Er klagte über erhöhte Temperatur. Ich sagte zu ihm: “Es könnte das Virus sein.“
Er antwortete: „Ach nein, ich war auf dem Trojzer Friedhof zum Aufräumen, vermutlich habe ich mich dort erkältet.“
Der Leitende Redakteur des „Novgoroder Portals“ Antonij Kisch erzählte unserer Redaktion:
„Am 18. Juni rief er mich an, erzählte, es gehe ihm schlecht, er könne nicht atmen. Man rief die Notarzt-Zentrale an, bekam aber zur Antwort, man könne zu ihm nur kommen zur Praxis des Arztes,
dieser komme heute, aber vielleicht auch erst morgen. Daraufhin telefonierte ich mit den Vertretern der Gebietsverwaltung: Igor Verchodanov, Igor Neofitov, Nikolaj Schestakov und sagte, wenn der
Begründer von „Dolina“ sterbe, hätten sie nichts mehr zu melden. Das Vorangegangene war ihnen nicht bekannt, man muss ihnen ihre sofortige Reaktion zugute halten. Kurz darauf rief Orlov Kisch an,
sagte, es seien zwei (?!) Notarztwagen gekommen, und sie würden ihn nun in die Klinik Azot bringen.
Am nächsten Tag bat er einen Journalisten um einen Ventilator, es war heiß und im Zimmer sei es so stickig. Den Ventilator brachte ins Krankenhaus einer der Kommandeure der Suchtrupps Anatolij
Ievlev. Orlov verlegte man am Freitag in die 7. Etage.
Am 20. Juni schickte Orlov Kisch ein Telegramm, man schließe ihn nun an Sauerstoff an.
Um 23 Uhr starb er.
Wir wandten uns an die Medizinische Abteilung der Gebietsverwaltung mit der Frage: „War es nicht möglich, den Notarzt zu rufen zu Orlov, der über 70 Jahre alt war?“
Wir zitieren hier die Antwort: „Ihre Information bestätigt sich nicht. Alexander Iv. Orlov wurde von der Ambulanz behandelt. Der Notarzt wurde vom zuständigen Therapeuten gerufen. Es hat keine
Absagen gegeben. Er wurde in der ersten Klinik versorgt, die Therapie lief an.“ - Wenn hier ein Widerspruch vorliegt zu dem oben Gesagten, so müssen dies kompetente Organe überprüfen.
Antonij Kisch teilte vnovgorode.ru mit, man werde Orlov ins Krematorium nach St. Petersburg überführen, wofür seine Familie kein Geld hat. Er bemerkte: „Der Gouverneur hat so oft mit
„Dolina“ geprahlt, dass ich denke, die Mächtigen sollten sich würdig von dem Begründer von „Dolina“ verabschieden.“ Alexander Orlov, der Bruder des berühmten Gründers der Suchinitiative DOLINA im
Nowgoroder Gebiet Nikolaj Orlov, war selber ein bekannter Nachforscher.
Als Fotograf und schreibender Journalist arbeitete er bei der „Novgoroder Pravda“ und beim „Novgoroder Komsomolzen“, im Gebietsradio, war verantwortlicher Sekretär der Zeitschrift Posev in Moskau
und war ein langjähriger Mitarbeiter auch unserer „Neuen Novgoroder Zeitung“.
In Velikij Novgorod gab es Ausstellungen seiner Fotos.
Im Jahre 2015 wurde er mit dem Orden „Für Verdienste um das Novgoroder Gebiet“ ausgezeichnet. Orlov war aktives Mitglied der Novgoroder Gesellschaft der Liebhaber der Antike. Auf den Sitzungen
der namenskundlichen Kommission und der Kommission zur Erhaltung des Gedenkens trat er selber mit Beiträgen auf.
Außerdem war Alexander Orlov ein sehr sportlicher Mensch – war Fallschirmspringer und Deltaplaner, Taucher, auf Novgorods Straßen sah man ihn in der Regel auf seinem Fahrrad.
Ade, Alexander Ivanovitsch!
Projekt zwischen Bielefeld und Welikij Nowgorod – angeregt vom GOETHE-Institut
Seit einigen Jahren sind die politischen Verhältnisse zwischen Deutschland und Russland vermehrt von Spannungen gekennzeichnet. Die städtepartnerschaftlichen Beziehungen bleiben davon nicht
unberührt: so mancher Austausch wurde von Misstrauen, Skepsis und vorsorglicher Distanz gegenüber den westlichen Werten und unserer offenen, liberalen
Lebenswelt überschattet.
Umso mehr freuen wir uns über Initiativen seitens der Nowgoroder Universität, junge Russen und Deutsche in engeren Kontakt und Austausch zu bringen, zumal seit dem März 2020 solche Pläne und
Projekte pandemiebedingt sämtlich abgesagt wurden.
Der Weg des gegenseitigen Kennenlernens soll daher zunächst über das Internet, über die den Jugendlichen vertrauten modernen sozialen Medien gehen. Gedacht ist daran, dass die Akteure sich
selber, ihren Alltag, ihre Träume, ihre Vorlieben, die sie umgebende Kultur und städtische Realität in Bild und Szene präsentieren. Die Erstellung dieser Produkte kann nur in
seltener Ausnahme in existierenden realen Kontexten – wie z.B. schulischem Unterricht – erfolgen, dafür müssen zusätzliche Rahmenbedingungen geschaffen und professionelle Hilfen organisiert
werden.
Sehr erwünscht ist in einer zweiten Phase der unmittelbare Kontakt der deutschen und russischen Akteure untereinander, denn eine monologische Selbstpräsentation ist kein echter Austausch: für
Dialog, Begegnung, Auseinandersetzung und gemeinsame Produktionen sollen anschließend reale gemeinsame Aufenthalte Gelegenheit bieten.
Denn uns ist sehr daran gelegen, dass die in langen Jahren gewachsene lebendige Städtepartnerschaft zwischen Bielefeld und Welikij Nowgorod weiterhin zu gegenseitigem Verständnis und zur
Völkerfreundschaft beiträgt.
Das alles ist mit dem schmalen Budget unseres Vereins nicht zu finanzieren. Wir rechnen in der ersten Phase mit Kosten für die anregende Infrastruktur und Materialien auf beiden Seiten, in der
zweiten teureren Phase mit Kosten für Reisen und Aufenthalte in beiden Städten.
Wir denken daran, dieses Projekt auch unabhängig von der Genehmigung des GOETHE - Institutes mit der Nowgoroder Universität zu planen, und würden uns freuen, wenn auch Sie uns dabei unterstützen
könnten.
B. Hilf
Adressen der Vorstandsmitglieder
Dr. Manfred Dümmer, Heckstraße 16, 33609 Bielefeld, Tel. 325 385
Ulrich Eckert, Albertstr.10, 33649 Bielefeld, T. 9 467 120
Hans-Georg Fischer, Hagenkamp 44, 33609 Bielefeld, Tel. 330 233
Christel Franzen, Kupferheide 39a, 33649 Bielefeld, Tel. 451 102
Dr. Gerlinde Günther-Boemke, Deppendorfer Straße 160, 33619 Bielefeld, Tel. 05 203 – 1 205
Brunhild Hilf, Schelpsheide 12, 33613 Bielefeld, Tel. 889 282
Dr. William Rotsel, Spandauer Allee 16, 33619 Bielefeld, Tel. 105 668
Dr. Klaus Trillsch, Saarbrücker Straße 19, 33613 Bielefeld, Tel. 887 930
Erika Weichert, Am Balgenstück 33b, 33611 Bielefeld, Tel. 83 731
Herausgeber: Kuratorium Städtepartnerschaft Bielefeld – Welikij Nowgorod e. V.
www.bielefeld-welikijnowgorod.de
Brunhild Hilf - Schelpsheide 12 - 33613 Bielefeld
Redaktion: Brunhild Hilf und Rebecca Nußbaum
Konto des Kuratoriums: Sparkasse Bielefeld, IBAN DE93 4805 0161 0000 114041, BIC SPBIDE3BXXX