02.04.2024

Eine Bürgerin unserer russischen Partnerstadt war in diesem Frühjahr zu Gast in Bielefeld. Wir haben sie gebeten, uns ihr jetziges Leben zu schildern. Dies sind Auszüge daraus; sie bekennt sich ausdrücklich zu ihrem christlichen Glauben und dass ihr die 10 Gebote und die Bergpredigt wesentliche Orientierung bieten:

Seit dem Moment der Wahl dieses Vertreters einer besonderen Gruppe von Menschen, die nicht nach allgemeinmenschlichen Begriffen von Moral und Gesinnung erzogen wurde, sondern nach den Prinzipien, nach denen der Zweck alle Mittel heiligt und das Leben eines Menschen nichts gilt, wenn es um die Erreichung der Ziele der eigenen Gruppe unter dem Namen KGB geht, - seitdem habe ich begriffen, was das für die politische Entwicklung meines Landes bedeutet.

Ich habe nie für diesen Menschen gestimmt, obwohl die Mehrheit in meiner Umgebung unter der Wirkung der massiven Propaganda diese Machtergreifung unterstützte. Für viele war sie eine Verheißung relativer Freiheit in einer Zeit ökonomischer Schwierigkeiten und bedrückender Aussichtslosigkeit, aus der man sich zu befreien hoffte: daher glaubten sehr viele an den von uns Russen so hoch geschätzten Götzen „Vielleicht“.

Der Zweite Tschetschenienkrieg, der Beginn der Freiheitseinschränkungen, zügellose Ausschweifungen und Banditentum, die Korruption, die Annexion der Krim und ihre publizistische Ausschlachtung – letzteres erbrachte in der Folge einen Ausbruch patriotischer Gefühle in der Gesellschaft, die ermüdet war von dem augenfälligen Anwachsen der Ungerechtigkeiten, die nun übertönt werden von den Ambitionen zur Weltherrschaft, von dem angeblich besonderen Weg der „Russischen Welt“.

Seitdem suchen meine Gedanken nach einem Ausweg aus dieser Situation: protestieren, an irgendwelchen Aktionen teilzunehmen – davor habe ich zu viel Angst, zumal in meinem Rücken es eine Familie und Vertraute gibt, für deren Leben und Gesundheit ich verantwortlich bin. Und als Christin bin ich überzeugt, dass gläubige Menschen nicht gegen Missstände kämpfen, sondern für das christliche Menschenbild eintreten sollten: für Liebe, Mitgefühl, Hilfe, Fürsorge, Unterstützung in meiner nächsten Umgebung.

Aber der 24. Februar hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Verzweiflung über die trennende Kluft, die sich in unmittelbarer Nähe bei jedem auftut, wenn dieser das Vorgefallene positiv aufnimmt und dabei die in der Tiefe liegende Ursache nicht versteht, nämlich die heuchlerische Manipulation der Menschen, denen es nur um die Erhaltung ihrer eigenen Macht geht – ohne jegliche moralische Rechtfertigung und um jeden Preis. Da gibt es kein Mitleid, weder mit den eigenen Nächsten noch mit Fremden, denn unsere Gesellschaft wird nun beherrscht von den Gesetzen des Kerkers, nicht von juristischen Deklarationen.

Meine Wurzeln sind noch in der Erde meiner Vorfahren, nunmehr empfinde ich im praktischen Leben aber stärker als zuvor die biblischen Worte, wir seien allesamt Pilger und ruhelose Wanderer, dass man sich nicht allzu fest einnisten solle in dem, was gewohnt und heimelig ist, weil Schmerz droht beim Verlust der Verankerung.

Ich lebe nun von Tag zu Tag. Es gilt das HEUTE. Da sind die, mit denen ich mich frei fühle, die, bei denen ich bedachtsam meine Worte abwäge, und die, vor denen ich offen Furcht hege.

Ich habe nie geglaubt, dass die Schreckensjahre meiner Jugend in der UdSSR sich wiederholen würden, aber sie sind da in noch verschärfterer Weise und ausgestattet mit Formen der Verfolgung, der Denunziation, der Verurteilungen, sogar der Erwartung vom Verlust der Freiheit.

Die multinationale und multikulturelle Gesellschaft wird immer intoleranter gegenüber Ansichten, Überzeugungen und Verhaltensweisen, die den anscheinend allgemein gültigen nicht entsprechen.

Mein Verständnis des Glaubens gilt als sektiererisch, meine Ablehnung dessen, wie internationale juristische und allgemein anerkannte moralische Regeln verletzt werden, wird unpatriotisch genannt.

Jede kriegführende Partei erklärt ihre Rechtmäßigkeit. Dennoch möchte die Mehrheit in der Welt denen helfen, die einem heimtückischen Überfall unterworfen wurden. Allgemeine Vorstellungen von Gerechtigkeit eint die Menschen, und die falschen Ziele werden sich letzten Endes in ihrer ganzen unansehnlichen Abscheulichkeit zeigen. So wünscht man sich, dass dies bald eintrifft.

Verbrecherische Methoden sind primitiv, aber an sie hat sich unsere Gesellschaft gewöhnt, die Sprache der Propaganda ist so wirkungsvoll, weil die übrigen Quellen von Glaubwürdigkeit und Echtheit grausam verdeckt sind und Versuche, die Wahrheit zu ergründen, unbeantwortet bleiben.

Deshalb lohnt es sich nicht, vom russischen Volk nun bald ein Aufwachen zu erwarten, auch ist es unnötig, zu streng die zu verurteilen, die betrogen und verängstigt sind, eingepfercht in den Schraubstock der Kredite, der Sorge um Gesundheit und Leben.

Sehr wichtig aber ist die Unterstützung derer, die sich herauslösen, auch wenn durch diesen Schritt der Widerstand offenbar wurde, sie zu unterstützen und zu ermutigen.

Bielefeld, am 1.3.24


Gespräch mit Studentinnen aus St. Petersburg in ihrem Exil in Bielefeld


Im Dezember 2022 mussten Svetlana und Varvara den Ort ihres Geschichtsstudiums verlassen, da sie dort als Gegner des Krieges in der Ukraine bedroht und angegriffen wurden.


Seitdem setzen sie ihre Ausbildung an der Universität in Bielefeld fort.


Am Mittwoch, dem 13. März 2024 sind sie zusammen mit Brunhild Hilf Gäste der Lydia-Gemeinde.


Unter dem schönen Titel „Morgenglanz“ wird dort regelmäßig ab 9:30 h in der Johanniskirche gefrühstückt, um etwa 10:30 h schließt sich dann ein offenes Gespräch mit allen Anwesenden an, das bis etwa 11:30 h dauert.


Herzlich willkommen!         
Wer bei diesem „Morgenglanz“ zu Gast sein möchte, wird gebeten, sich in der Lydia-Gemeinde anzumelden unter lydia@kirche-bielefeld.de oder am Telefon des Gemeindebüros Nr. 65628 am Di 10-12h, Mi-Fr 9-12h, Do 15:30-17:30 h.


Brunhild Hilf


26.11.2023

Was sind unsere Vorhaben für diesen Winter?


Memorial, die unermüdliche und unsterbliche Organisation für Menschenrechte, hat eine neue Zentrale in Genf gegründet. Sie sammelt wie eh und je Dokumente zu Menschenrechtsverletzungen und bereitet die Herausgabe eines Buches vor, in dem die „Letzten Worte“ politisch Verurteilter vor Gericht publiziert werden – Zeugnisse von Unbeugsamkeit und der Liebe zur Wahrheit. Zusammen mit Amnesty international wollen wir dieses Buch vorstellen, sobald es erschienen ist. Zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember d.J. wird dies nicht mehr möglich sein.


Aus Essen, das mit der Stadt Nizhnij Nowgorod („Klein-Nowgorod“) partnerschaftlich verbunden ist, erfuhren wir, dass dort aktuell junge russische Menschen ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren konnten – warum sollte uns dies nicht auch möglich sein? Wir möchten es jedenfalls versuchen, haben mit den Organisatoren des Bethel-Jahres Kontakt aufgenommen und mit einer Deutsch-Dozentin der Universität in Welikij Nowgorod („Groß-Nowgorod“!): Im vergangenen Jahr konnte sie junge Deutsch-Studierende motivieren, an unserem Schreibwettbewerb teilzunehmen – nun versucht sie, mutige InteressentInnen für ein FSJ zu gewinnen. Wir hoffen, dass es gelingt und wir im Sommer 2024 junge russische FSJ-ler hier begrüßen können.


Eine nächste Mitgliederversammlung planen wir für Februar 2024: seit dem vergangenen Jahr arbeitet Frau Dr. Nadezhda Beliakova aus Moskau an der Universität Bielefeld an der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie. Sie ist ausgewiesene Spezialistin für die Beziehungen zwischen der Russischen und der Ukrainischen Orthodoxie und wird uns dazu einen Vortrag halten.


Es soll im Dezember dazu noch ein Rundbrief verfasst werden – zusammen mit unseren Grüßen zum Weihnachtsfest und zum Jahreswechsel.
Für den Vorstand: Brunhild Hilf



 

18.09.2022

Das Aquarellbuch als Friedensgespräch in einer heillosen Zeit

 

Die Städtepartnerschaft zwischen Bielefeld und Welikij Nowgorod ist Teil einer von Deutschen und Russen gemeinsam geleisteten Arbeit der Verständigung und Versöhnung nach der Katastrophe, die von deutschem Boden ausgegangen war.
Der nun vom Moskauer Regime Ende Februar begangene und noch anhaltende Tabubruch in der Friedensordnung Europas beschädigt dieses Friedenswerk. Aber wir bewahren es in Erinnerung für die Zeit, die danach kommen wird, denn es bleibt Beispiel und Vorbild.

 

Dieses Buch, das das fiktive Gespräch zweier Maler über die Gräben des Zweiten Weltkrieges hinweg dokumentiert, soll uns dabei helfen:

  • der deutsche Künstler beklagt in seinen Bildern die Zerstörung, die der deutsche Überfall auf die UdSSR in Nowgorod anrichtete,
  • der russische Künstler feiert die Wiederauferstehung der alten Stadt nach dem Friedensschluss im Mai 1945.

Ihre Malweise ist ähnlich, es ist das Bekenntnis zur Aufgabe des Chronisten, der wirklichkeitsgetreu wiedergibt, was er sieht und erlebt. Beide sind Zeitzeugen. Im Jahre 2016 kam es zur Begegnung ihrer Bilder im Museum in Welikij Nowgorod bei einer gemeinsamen Ausstellung:

Ihre Werke konnten stellvertretend als „Kinder“ der Künstler im Rahmen der Städtepartnerschaft ein Friedensgespräch miteinander beginnen – diesen Dialog dokumentiert dieses Buch – in beiden Sprachen.

Als reales Friedensgespräch ist das Buch auch ein Beweis dafür, dass sowohl freundschaftliche als auch gesellschaftliche Verbindungen in dieser Zeit aufrecht erhalten bleiben, an die wieder angeknüpft werden kann nach dem Krieg.

 

Für das Kuratorium Städtepartnerschaft Bielefeld Welikij Nowgorod e.V. Brunhild Hilf

im Sommer 2022


Bei Interesse an dem Aquarell-Buch (15 € plus ggf. Versandkosten)
nehmen Sie bitte per E-Mail Kontakt auf mit Frau Brunhild Hilf
unter bhilf@gmx.de oder telefonisch unter 0521 / 889282.