30 Jahre Städtepartnerschaft Bielefeld - Welikij Nowgorod                                                  Grußwort zum Festakt am 21. Mai 2017

 

(Es ist nicht so schön, wenn man an einem solchen Sonntag der 5. oder 6. Rednerin zuhören muss – aber ich habe Ihnen allen ein Geschenk mitgebracht – wir werden es im Laufe meines Grußwortes gemeinsam auspacken . . . . )

 

Die Partnerschaften, die deutsche Stadtgesellschaften nach dem 2. Weltkrieg eingingen, hatten zumeist die Aussöhnung mit dem ehemaligen Gegner zum Ziel. Dieses Ziel erschien denen dringlich, die 1983 im „Heißen Herbst“ des Kalten Krieges auf die Straße gingen, um gegen die im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses geplante Nachrüstung zu protestieren und sich die Beziehung zu einer Stadt in der UdSSR zu wünschen, um dort im Osten hinter dem Eisernen Vorhang Schwestern und Brüder zu bekommen, auf die man nicht schießt.

Dieser Wunsch ging 1987 in Erfüllung.

Die Partnerschaft zwischen Bielefeld und Welikij Nowgorod ist also ein Kind der Krise und seine Eltern sind Gruppen der Zivilgesellschaft.

So gestaltete sich die Anfangszeit in der Aufbruchstimmung der Gorbatschov-Zeit:

die Bürger, die ihre neuen Verwandten in jeweils 2.000 km Entfernung besuchten, verbanden gemeinsame berufliche oder persönliche Interessen: z.B. als Lehrer – so waren beide Universitäten Pioniere der Verbindung – als Schüler und Student, als Musiker, Kommunalpolitiker, Schachspieler, Handwerker, Radfahrer, blinder Mensch – beim Austausch der Gemeinsamkeiten entdeckte man auch reizvolle Unterschiede.

Dennoch: in der Zeit der Perestrojka und noch lange danach glaubten Bürger Bielefelds und W. Nowgorods daran, ein ähnliches Gesellschafts- und Menschenbild zu haben.

Dieses Vertrauen hat Risse bekommen. Aber die Erfahrung aus der Gründungszeit der Partnerschaft prägt uns noch heute - in 2 Projekten des Kuratoriums geht es um die Fragen: was kann der einzelne Bürger in und für die Gemeinschaft tun? wie kann er das Leben in seiner Stadtgesellschaft verbessern? wo kann er Verantwortung übernehmen?

Junge russische Bürger ergriffen 2014 als Gäste der 800-Jahr-Feier Bielefelds die Initiative zu einer Kooperation für eine ökologische und soziale Stadterneuerung – in diesem Zusammenhang erging an Veit Mette die Einladung, seine Bielefeld-Bilder einer offenen Stadtgesellschaft in W. Nowgorod zu zeigen. Und dort porträtierte er eben auch das bunte Treiben der Stadtgesellschaft zwischen den Feiertagen des 1. und des 9. Mais.

(Jetzt kommt das angekündigte Geschenk: es sind Veit Mettes Fotos, er kann selber heute nicht hier sein- stellt uns aber seine Bilder als Gruß zur Verfügung.)

 

F O T O S

 

Was haben wir gesehen? Freizeitverhalten wie bei uns: Kinderspiele, Sonnenbaden, Picknick, Tanz auf der Straße – buntes Treiben, vor der wunderbaren Kulisse der schönen alten Stadt – zwar in schwarz-weiß, aber in deutlich anderer Färbung als bei uns: unübersehbar viele quasi-militärische Insignien und Handlungsweisen.

Eine Erklärung ist der historische Hintergrund: die russischen Soldaten verteidigten ihr Vaterland gegen die Deutschen, denen ein Vernichtungskrieg befohlen war.

Und dies heute – bzw. im Mai 2016 – aber der russische Tag des Sieges vor 12 Tagen am 9. Mai wies das gleiche Programm auf. Uns irritiert dies, zumal wenn noch andere, deutlichere Symbole hinzukommen.

Veit Mettes Kamera-Auge inszeniert diese Störungen als Kollisionen (nichts ist nachträglich bearbeitet, alles ist so gewesen): der Vaterkopf wird verschluckt von den Luftballons mit den minions – das sind dienstbare Geister für die finstersten Schurken der Weltgeschichte – abgelichtet vor der Gaststätte für die explizit „guten Menschen“ – welche Autoritäten treten hier an die Stelle alter Vorbilder?

Er zeigt uns eine Jugend, die auf ihre eigene Weise damit umgeht :

- Zwar beäugt der gipserne Leninkopf kritisch die kleine Künstlerin – sie aber – weit gefehlt, ihn zu porträtieren, - auf ihrer Staffelei entsteht ein Blumenstilleben.

- Die kleine Radfahrerin – noch ist das Rad dort ein recht unübliches Verkehrsmittel – trägt zwar den traditionellen Kopfschmuck, präsentiert aber trotzig ihr exklusives Velo.

- Vollends stellen die Akrobaten an der Volchovbrücke die Welt auf den Kopf.

– die Jugend dreht ihr eigenes Ding.

Dies wünsche ich den Studenten dieser neuen Kooperation!

Herzlich gratuliere ich Ihnen dazu : es ist eine wunderbare Chance,

eine Chance zu gemeinsamer ergebnisoffener Erkenntnissuche, fern von Ideologie und frei von Abschottung – bitte, nutzen Sie sie!

 

Brunhild Hilf