29.04.2017

29. April 2017 Nachtansichten in Bielefeld: Bilder Veit Mettes aus W. Nowgorod

 

Diese Ausstellung hat zwei konkrete Anlässe: den 30. Geburtstag der Städtepartnerschaft mit Welikij Nowgorod und eine Reise Veit Mettes dorthin im Mai 2016 : auf Einladung einer Gruppe junger grüner Städteplaner zeigte er dort eine Ausstellung seiner Bielefeld-Bilder aus dem Band „heimatBiswolkig“ – ergänzt um aktuelle Aufnahmen.

 

Er traf in Nowgood auf eine Stadtbevölkerung, die bei heiterstem Frühsommerwetter ins Freie drang, um eine Reihe von Feier- und Brückentagen zu genießen : zwischen dem 1. und dem 9. Mai gibt es immer hinreichend Anlässe draußen zu feiern und sich selber dabei zu fotografieren – er konnte also unbehelligt und unentwegt knipsen. Eine kleine Auswahl der Fotos – ein Dank an das Kulturamt !! – zeigen wir hier heute:

 

Die Menschen tanzen auf den Plätzen, nehmen ein erstes Sonnenbad, quasi als Parade oder als solitär, sie picknicken am Ilmensee (wobei ein Drache, der sich in einer Baumkrone verfing, den Anlass gab zu einer langwierigen Kletterei) – überhaupt allüberall aufgeblasenes Gummi- und Panzergetier, Akrobaten schießen ihre Saltos von der Fußgängerbrücke in den Sandstrand oder balancieren auf dem Brückengeländer, Fahrräder werden vorgeführt, die bisher eher als Kinderspielzeug denn als reguläres Verkehrsmittel eingesetzt werden – wir erlebten Freizeitverhalten, Familienvergnügungen, wie es an vielen Orten der Welt sein könnte.

Aber einiges ist total anders: sicher – einerseits die Kulisse dieser schönen alten Stadt, die altehrwürdige Sofienkathedrale, die Kremlmauer, Helden-Denkmäler, seien sie Lenin oder Alexander Nevskij, dem Schwedenbezwinger, gewidmet.

 

Andererseits: der 9. Mai ist der Tag, an dem der Sieg über Nazideutschland gefeiert wird, aus diesem Anlass gehen die Nowgoroder in einer langen Parade vom Sofienplatz in einem großen Bogen außen rund um den Kreml herum, dann hinein in dieses Allerheiligste und legen am Ewigen Feuer Blumen ab.

Diese Blumen und die gezeigten Fotos bezeugen den Respekt vor den im Krieg Gefallenen und bewahren öffentlich die Erinnerung an Angehörige, die auch ganz zivil und später verstarben.

 

Allerdings: der Name dieses Gedenkzuges, der über mehrere Stunden das Zentrum beherrscht, lautet: „Das unsterbliche Regiment“. Es geht um Kontinuität der Tradition, vor allem der militärischen Tradition. Allüberall militärische Insignien, soldatische Uniformen, die jung und alt einen, Panzer und MG`s als Spielzeug und Panzer als Tummelplatz-Kulisse am Flussufer, Kampf-Flieger zieren dabei den in die Badehose gekleideten Allerwertesten, und - es wird demonstriert mit Stalin-Plakaten.

 

Gewiss: es war ein Verteidigungskrieg, Soldatentum wird aus historischen Gründen nachvollziehbar wertgeschätzt, aber dieser Patriotismus ist wehrhaft bis zum Rassismus und Neonazismus – ja, stolz getragene Nazi-Embleme erstaunen an diesem Gedenktag.

 

Festtagslaune plus Ideologie - für uns prallt da Unvereinbares aufeinander,und Veit Mette stellt in seinen Bildern diese Brüche zur Schau, inszeniert mit dem künstlerischen Kamera-Auge – nicht nachträglich durch technische Bearbeitung,

als Störungen, als Kollisionen:

- wieso lässt er die Katze mit ihrem buschigen Fell das Bild des Sofienglockenturms beherrschen?

- bringt der hoppelnde Hund die Facon der Sonnenanbeter durcheinander?

- warum lässt er aus dem aufgeblasenen Ungetüm die Luft raus, so dass es eine Bauchlandung gibt?

- was ist das für ein Vater, dessen Kopf gänzlich verschluckt wird von der Abbildung der minions, dieser dienstbaren Geister für die fiesesten Schurken der Welt-geschichte? und was bedeutet es, dass diese Szenerie abgelichtet wird vor dem feinen Restaurant der explizit „guten Menschen“?

- was für eine Jugend wächst dort heran?

 

Lenin beäugt kritisch die junge Künstlerin – so in Szene gesetzt von dem Fotografen – aber: sie porträtiert nicht den Revolutionär, sondern ein Blumenstillleben.

Und die kleine Radfahrerin vor der Sofienkathedrale, dem Sinnbild des Alten Russland, und sie trägt den traditionellen Blumenschmuck am Kopfe, präsentiert aber etwas trotzig ein exklusives Velo.

Vollends stellen die Akrobaten an der Volchov-Brücke die Welt auf den Kopf : die Jugend dreht ihr eigenes Ding –

vielleicht zum Wohle eines neuen Russlands?

 

Brunhild Hilf